Die Suchmaschinendichter
Eigentlich sind Suchmaschinen dazu da, mit bereits vorhandenen Texten zu arbeiten. Doch für findige Textkünstler kann Google auch zur Muse werden. In Frankreich und Deutschland haben Schriftsteller die Suchmaschinendichtung zur eigenen Kunstform erhoben.Suchmaschinen können Schreibwerkzeuge sein. Auch wenn Suchmaschinengedichte noch nicht als eine literarische Gattung anerkannt sind - zumindest gibt es keine offizielle Geschichtsschreibung dazu -, so gab es "Adwords Poetry" schon lange bevor Suchmaschinenoptimierer überhaupt wussten, wie sie sich nennen sollten.
Dass es sich auch mit Hilfe von Spam trefflich reimen lässt und es E-Mail- und SMS-Gedichte gibt, wundert wenig. Griff der Poet in früheren Zeiten zum gebundenen Wörterbuch, bedient er sich heute eben eines Suchstrings.
Als einer der Pioniere auf dem Gebiet der Suchmaschinenpoesie gilt der Franzose Christophe Bruno. Seit 2001 experimentiert er mit von Suchmaschinen generierten Gedichten. Sein neuestes Projekt nennt Bruno Dadameter, ein Werkzeug, mit dem er Sprache kartografisch verschiedenen Gegenden zuweist.
"Zumwinkel"
Auch in der Berliner Lesebühnenszene wird gern mit Suchmaschinenpoesie experimentiert. Der Schriftsteller Bov Bjerg verfasste im Februar 2008 aus gegebenem Anlass ein Gedicht namens "Zumwinkel".
Klaus Zumwinkel, einst Chef der deutschen Post, war gerade eben im Zusammenhang mit Liechtensteiner Konten wegen Steuerhinterziehung verhaftet worden.
Bjerg gab folgende Suchstrings in Google ein und protokollierte den Output der Suchmaschine:
Zitat:
"Zumwinkel ist doch"
"Zumwinkel hat doch"
"Zumwinkel war doch"
"Zumwinkel ist ja"
"Zumwinkel war ja"
"Die da oben"
"Zumwinkel hat doch"
"Zumwinkel war doch"
"Zumwinkel ist ja"
"Zumwinkel war ja"
"Die da oben"
Der Output ergab ein Sammelsurium aus den üblichen Agenturgemeinplätzen, Webforumseinlassungen und Pressetexten, in weiterer Bearbeitung verdichtete Bjerg all das zu einem Schnappschuss aus dem öffentlichen Leben der Bundesrepublik.
Vorgetragen wird dieses Gedicht keineswegs von Bjerg selbst, sondern von Mary, einem Sprachausgabeprogramm des deutschen Forschungszentrum für künstliche Intelligenz.
Ein Gedicht! Oder nicht?
Zum Gedicht, so Bov Bjerg, werde der Suchmaschinen-Output erst durch den geschickten Einsatz von Zeilenumbrüchen. Außerdem gehe es in den fertigen Konstruktionen ein wenig rhythmischer zu als in Prosatexten.
Auch wenn andere Poeten die automatisch generierten Texte gerne als "Google-Gedichte" bezeichnen, plädiert Bjerg für eine neutrale Wortwahl. Er bevorzugt den Begriff "Suchmaschinengedichte".
Die menschliche Ordnung
Damit ist dem Werkzeug auch Genüge getan und allen Wortspendern, deren sich die Autoren bedienen. Denn selbst wenn die Suchmaschine das Ergebnis beeinflusst, die stimmige Reihung der Wörter bleibt weiterhin Sache des Schriftstellers.
Dass es mit Google schneller gehe, ein passables Gedicht zu Papier zu bringen, bezeichnet Frank Sorge, Vorleser und Mitglied der Berliner Lesebühne Brauseboys, deshalb als Gerücht.
"Virtuell", Frank Sorge, 2007-08-29, 12:08:14
Zitat:
Suchstrings:
"Virtuell heißt"
"ist virtuell"
"Virtuell heißt"
"ist virtuell"
Die korrekte Fragetechnik
Der erste Schritt beim Schreiben eines Suchmaschinengedichts besteht in der sorgfältigen Wortwahl der Suchabfrage. Damit holt man sich das Gerüst für den weiteren Verlauf auf den Bildschirm. "Jeder entwickelt dabei seine eigene Herangehensweise", sagt Bov Bjerg.
Auf die Verwendung des Suchstringdoppels "virtuell heißt" und "virtuell ist" wäre er selbst nie gekommen, aber schon allein damit erhalte eine Zeile einen ganz anderen Rhythmus.
"Ein anderer Blogger sucht systematisch nach bestimmten Schreibfehlern, die häufig sind, aber womit er bei der Eingabe des Suchstrings schon das ganze akademische Milieu herausfiltert und so einen Pool an sprachlichen Äußerungen erhält, der viel spezieller ist."
Technische Details
Auch das Datum, an dem man seine Suchabfrage abschicke, beeinflusse das sprachliche Ergebnis, sagt Frank Sorge. Und auch mit der Gegenüberstellung der Ergebnisse von unterschiedlichen Suchmaschinen fördere anderes Ausgangsmaterial zutage.
Noch mache ihm das Spielen mit den Sprachbausteinen aus dem Netz Spaß. Auf "poetry robots", Programme also, die automatisch Gedichte generieren, könne er aber verzichten. Nicht nur bei der Wortauswahl für die Suche, sondern auch bei der Reihung der Ergebnisse vertraut Sorge lieber auf sein eigenes Sprachgefühl.
Quelle: fuzo-archiv
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