Mit Plastikentchen Rechner steuern
Der österreichische Architekt Thomas Kienzl zeigt mit seinem Tangible User Interface, dass sich Computer auch wirklich einfach bedienen lassen. Statt auf Maus und Tastatur als Schnittstellen setzt er auf Entchen und Spielzeugautos.
Eine gelbe Plastikente, wie man sie aus Spielzeuggeschäften und Familienbadezimmern kennt, sitzt auf einem leuchtenden bildschirmgroßen Plexiglaswürfel. Ein Monitor zeigt die gelbe Ente an. Man könnte meinen, man hätte es mit einem besonders ironisch gemeinten Einrichtungsgegenstand zu tun.
Bewegt der Nutzer das Plastiktier nach rechts, nach vorne, nach links, so ahmt das virtuelle Ebenbild die Bewegungen nach. Denn an der Unterseite der Ente ist ein farblich gekennzeichnetes Etikett angebracht. Die Kamera im Inneren des Würfels erkennt, in welche Richtung die Figur zeigt, und übermittelt die Daten aktuell an den Computer, der die virtuelle Ente und ihre Umgebung auf dem Schirm entsprechend mitbewegt.
Nimmt der User die Ente vom Tisch, verschwindet sie ebenfalls vom Bildschirm. Das ist die einfachste Anwendung des Tangible User Interface, also der greifbaren Benutzerschnittstelle. Die Funktionen des Programms werden nur durch das Objekt gesteuert – die Ente fungiert als Maus und mehr.
Keine Fehlbedienung möglich
Der Entwickler dieser Implementation eines so genannten "Tangible User Interface", also einer Mensch-Maschine-Schnittstelle, die über greifbare Objekte mit dem Computer interagiert, ist der Österreicher Thomas Kienzl. Er ist Architekt. Kein Techniker und kein Technikfreund. Menüs, Untermenüs, Mäuse und komplexe Steuerungssysteme sind ihm ein Gräuel. Der Clou sei, so Kienzl, dass sein System selbsterklärend funktioniere.
Es gibt nichts, was man falsch machen könnte. Als technisch ungeübter Mensch ist Kienzl sein bester Betatester. Sein Aufgabengebiet ist das Interaktionsdesign. Seine Fragen lauten: Wie schauen die Figuren aus, wie fühlen sie sich an, aus welchen Materialien kann man Modelle herstellen?
3-D-Animation trifft auf gewohnte Sichtweisen
Als Ausstellungsarchitekt kam Kienzl schon früh auf der Ars Electronica mit Computerspielen in Kontakt. Mit Joystick, Gamepad und Maus wurde er nicht warm. Sie waren ihm mehr im Weg, als dass sie ihm die Interaktion mit der virtuellen Welt erleichterten.
Kienzls Gedankengang lief wie folgt: Die gewohnten Arten, die Realität zu repräsentieren, also Pläne, [Architektur-]Modelle und Karten, sind allgemein bekannt. Diese traditionellen Repräsentationen wollte Kienzl mit Echtzeit-3-D-Anwendungen verknüpfen.
Ich, die Ente
Dazu brauchte er einen sinnlich erfahrbaren Vermittler zwischen diesen beiden Welten. "Der Vermittler sollte eine Reproduktion von mir selbst sein", sagt Kienzl. Also eine kleine Figur, etwa aus Lego, ein Spielzeug oder eben eine Plastikente.
Kienzl: "Die Figur schaut immer dorthin, wo ich hinsehe und ist immer in dem Raum, in dem ich das gerne sein möchte. Sie hat genau meine Perspektive. Für ungeübte Menschen ist es ein Vorteil, dass alles absolut positioniert ist."
Mixed Reality killed the Virtual Reality Star
MRI [Mixed Reality Interface] sei eine Reaktion auf den Trend der Virtual Reality in den 90er Jahren, meint Thomas Kienzl. Um in einer dieser frühen Virtual-Reality-Umgebungen spielen zu können, musste man verkabelt werden, mit sehr teuren Gerätschaften hantieren und hochkomplexe Menüs bezwingen.
Mixed Reality verknüpfe die reale mit der virtuellen Welt auf eine Art, die den Menschen den Umgang mit der Technik zu erleichtert.
Auf Messen, Konferenzen oder Präsentationen lässt Thomas Kienzl seine Besucher einfach das Tangible User Interface ausprobieren und erkunden. Er brauche ihnen gar keine Anweisungen zu geben, jeder verstehe sofort, wie es funktioniert.
Das Chamäleon
Größe und Form des Tangible User Interface kann Kienzl je nach Anwendung anpassen, der Fantasie sind wenige Grenzen gesetzt.
Im Architektur- und Baubereich hat Thomas Kienzls Firma schon einige Kunden. Das Einrichten von Räumen ist etwa mit Unterstützung eines Lego-Männchens ganz einfach möglich. Aber auch beim Autodesign und beim Autokauf steht das Tangible User Interface vor seinem baldigen Einsatz.
Beim Autokauf dient ein Spielzeugauto als Modell. Es wird, wie das Entchen, an der Unterseite mit einem Klebeetikett versehen. Schon erkennt die Kamera im Plexiglaswürfel das Etikett und sendet die Steuerdaten an den Grafikcomputer.
Setzt man eine kleine Holzfelge auf den unsichtbaren Computer, so kann man sich die gewünschte aus dem am Monitor erscheinenden Menü auswählen. Ebenso die Farbe, das Modell und die Innenausstattung. Und wenn Mann, Frau oder die ganze Familie das Auto mit allen Details ausgewählt hat, kann das Modell mitgenommen werden – als kleiner Ersatz bis zum Liefertermin sozusagen.
Chefs spielen gerne mit Plastikenten
"Wir haben alle schon Touchscreens berührt, Mäuse, Joysticks und Gamepads verwendet. Aber das navigieren mit einer Figur, einem Modell, bleibt hängen", erklärt Thomas Kienzl.
Besonderes Interesse am Tangible User Interface kommt aus den Entwicklungs- und Designabteilungen der Industrie. Vor allem deshalb, weil es cheftauglich sei, scherzt Kienzer.
Präsentationen mit Figuren steuern
Aber nicht nur im Verkauf findet das neue Interface Anwendung, auch bei Videokonferenzen, Vorträgen und im E-Learning soll es zum Einsatz kommen. Die Powerpoint-Präsentation, das Textprogramm und die Videos können vom Vortragenden mit einer Figur gesteuert werden. Das gibt mehr Freiheiten als gewohnt bei der Navigation.
Dieses Vortragsmodul können Kienzls Kunden auch dazu nutzen, Videokonferenzen lebendiger zu gestalten. Mit den virtuellen Figuren lassen sich schnell und einfach Präsentationen zusammenstellen und Treffen im Datenraum organisieren.
Siggraph is calling
Anfang August wird Thomas Kienzl auf der Siggraph, der größten und wichtigsten Messe für interaktive Medien, ein weiteres bisher nicht kommerzielles Projekt präsentieren: Die Visualisierung mathematischer Formeln.
Schon letztes Jahr war Thomas Kienzl samt Plexiglaswürfel und Plastikente zur Siggraph geladen. Disney hieß die zehn besten Projekte der Messe anschließend bei sich willkommen – darunter das Tangible User Interface.
Im Kunst- und Forschungsbereich gibt es seit den 90er Jahren ähnliche Modelle der Visualisierung und Schnittstellen zur virtuellen Welt. Thomas Kienzl hat aber den großen Schritt getan und ein Produkt auf den Markt gebracht.
In Zukunft wird die Einfachheit siegen, meint Thomas Kienzl. Niemand hat Lust, sich mit komplizierten Menüs und Anwendungen herumzuschlagen. Noch ist das Tangible User Interface ein hochpreisiges Nischenprodukt. Das günstigste Modell kostet 8.500 Euro.
Quelle: fuzo-archiv.at
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