Kefir am 14. April 2007 um 13:57 |  0 Kommentare | Lesezeit: 5 Minuten, 6 Sekunden

"Was ist jetzt mit der Medienrevolution?"

Am Freitag haben deutsche Medienmacher und Blogger auf der Konferenz re:publica in Berlin das Verhältnis zwischen alten und neuen Medien diskutiert. Auch der viel beschworene "Citizen Journalism" kam aufs Tapet.

Dass die Zeitung sterben werde oder gar tot sei - wie eine während der Diskussion verteilte Papierausgabe des Berliner Weblogs Spreeblick titelte -, glaubten die Diskutanten beim Panel "Wie überholt sind die alten Medien, wie innovativ die neuen?" nicht.

Davon, dass Printprodukte jedoch Probleme haben, sich dem neuen Medienumfeld anzupassen, war das mit Mercedes Bunz [de:bug, "Tagesspiegel" online], Jochen Wegner ["Focus" online], Thomas Knüwer ["Handelsblatt"] und Johnny Haeusler [Spreeblick] besetzte Podium aber überzeugt.

"In den 80er Jahren stecken geblieben"
Die deutschen Zeitungen seien in den 80er Jahren stecken geblieben, meinte Knüwer, der sich mit dem "Handelsblatt"-Weblog Indiskretion Ehrensache und dem Podcast bel etage mittlerweile auch im Netz ein Standbein geschaffen hat.

Die Zeitungen hätten es nicht verstanden, ihre Rolle in der neuen Medienlandschaft zu definieren. Anstatt ihr Profil zu schärfen, dächten viele Zeitungsmacher, dass Zeitungen aussehen müssten wie das Internet, kritisierte der Journalist.

Lange Texte auch im Netz
Tageszeitungen und Online-Medien würden sich wohl auch weiterhin ergänzen, hieß es. Dennoch werde das Netz nicht ausschließlich für die aktuelle Berichterstattung herangezogen werden und Zeitungen nicht ausschließlich für die Hintergründe zu den "schnellen" Nachrichten im Web zuständig sein. Auch im Netz würden lange Texte mittlerweile gelesen, meinte Focus.de-Chefredakteur Wegner.

Glaubwürdigkeit hinterfragen
Von der Glaubwürdigkeit von Zeitungen und Weblogs wollte man zwar nicht reden, tat es dann aber doch. Es sei an der Zeit, auch die Glaubwürdigkeit in alten Medien zu hinterfragen, meinte Knüwer. Dazu müsse man nur in den Bahnhofskiosk gehen und werde schnell merken, dass der Anteil diesbezüglich fragwürdiger Produkte im zweistelligen Prozentbereich liege.

Die Frage, ob man einer Quelle vertraue, habe viel mit den Erfahrungen zu tun, die man mit dieser Quelle mache, meinte Haeusler. Dafür müsse man letztlich ein Gefühl entwickeln.

Marken statt Medien
Marken werden wichtiger, meinte Bunz: "Während man heute vom Medium der Tageszeitung oder Online-Medien spricht, wird man künftig von Marken reden, die als vertrauenswürdige Informationsquellen herangezogen werden. Man liest ja auch schon heute Blogs denen man traut", sagte sie. "Das wird spannend."

Auch Fernsehen vor Veränderung
Aber nicht nur die Printprodukte, sondern auch die TV-Sender müssten sich schon der Konkurrenz aus dem Netz stellen.

"Die Fernsehleute wissen noch nicht, was auf sie zukommt", meinte Knüwer. Technologien wie Apple TV würden mittelfristig das Fernsehen verändern, die Sender müssten innovativer werden, sonst würden sie mit Ausnahme von Live-Berichten "abgekoppelt", so Knüwer.

Videos werden jedenfalls in die Online-Angebote deutscher Medien zunehmend integriert. "Wir machen Bewegtbild-Journalismus, der aber immer noch in ein Gesamtkonstrukt eingebettet ist, das textlastig ist", sagte Wegner.

Schwierigkeiten mit "Citizen Journalism"
Während aus dem Publikum die Frage kam: "Was ist jetzt mit Medienrevolution?", machten sich bereits die nächsten Diskutanten bereit. Auf dem Tapet stand das Thema Bürgerjournalismus ["Citizen Journalism"].

Er habe mit dem Begriff Bürgerjournalismus Schwierigkeiten, meinte der deutsche Weblog-Pionier Jörg Kantel [Schockwellenreiter], denn vom Bürgerjournalismus könne man nur dann sprechen, "wenn der Bürger auch im Besitz der Produktionsmittel ist". Das sei etwa beim Großteil der Weblogs der Fall, nicht jedoch bei Anbietern, die versuchen würden, an billigen Content von anderen Leuten zu kommen.

"Content-Vieh"
Katharina Borchert, die für die deutsche WAZ-Gruppe gerade einen Online-Auftritt [WestEins] konzipiert, bei dem auch die Bürger zu Wort kommen sollen, wehrte sich: "Ich leite nicht billiges Content-Vieh in die Wege."

Das Bedürfnis der Leute nach Partizipation sei jedoch sehr groß. Im Übrigen würden die Diskussion über "Citizen Journalism" fast ausschließlich von den Medien und der Wissenschaft geführt, die Beteiligten interessieren sich eigentlich nicht dafür, meinte Borchert.

"Masche der klassischen Medienvertreter"
"Die Leute schreiben etwas, wenn sie etwas zu sagen haben", meinte Hugo E. Martin von der ReadersEdition. Die ReadersEdition würde diesen Leuten eine Plattform bieten, sagte er. Kategorisierungen und Labels seien eine Masche der klassischen Medienvertreter, die sich abgrenzen wollen.

Künftig wolle die ReadersEdition versuchen, verstärkt Themenkompetenz zu entwickeln, etwa zum Klimawandel und "Social Media", kündigte Martin an.

Profit statt lokaler Themen
Die Bürgermedien seien dann wichtig, wenn es um die Behandlung von Themen gehe, die in etablierten Medien keinen Platz finden, meinte der Weblog-Autor Jens Matheuszik [Pottblog], der selbst oft regionale politische Themen aus dem Ruhrgebiet aufgreift.

"Hier müsste Bürgerjournalismus ansetzen", meinte auch Kantel. Die Zeitungen hätten aus Profitinteresse damit aufgehört, lokale Themen zu behandeln, kritisierte er. Sein Wohnbezirk Neukölln finde etwa in der Presse nicht statt, ähnlich verhalte es sich auch mit gewissen Sportarten, über die man in Zeitungen nichts lesen könne, etwa Damen-Rugby.

Die Zukunft des Bürgerjournalismus
In Zukunft werden Videos bei Bürgermedien verstärkt in den Vordergrund treten, beantwortete Kantel die Frage, wie die Zukunft des Bürgerjournalismus aussehen werde. Dem schloss sich auch Martin an: "Multimediale Formen werden einen wesentlichen Teil der Bürgermedien ausmachen."

Der Begriff Bürgerjournalismus werde verschwinden, meinte Matheuszik. Der sei nicht zuletzt durch die "Bild"-Zeitung diskreditiert worden. Aber immer mehr Leute werden das Netz dazu nutzen, um "ihre Meinung zu sagen", so der Blogger.

Weiterhin Randphänomen
"Bürgermedien werden auch künftig ein Randphänomen bleiben", sagte Borchert. Es werde auch weiterhin mehr Konsumenten als Produzenten geben. Die Zukunft des Bürgerjournalismus, zeigte sie sich überzeugt, liege jedoch definitiv in lokalen Inhalten.





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